


Die Sehnsuchtsindustrie unserer spätkapitalistischen Gesellschaft hat nach wie vor Konjunktur: nicht nur die Produktpaletten der Pop-Up-Stores, die Lifestyle Blogs, sondern gerade auch die Versprechungen der neoliberalen Arbeitswelt offerieren einer gewissen globalen Elite die persönliche Wunscherfüllung in standardisierten und von Arbeit geprägten Lebensentwürfen. Konzipiert als „Karrieren“, die über lange Strecken des Erwachsenen-Lebens individuelle Freiheit, Selbstverwirklichung und gleichzeitige Teilhabe am globalen Waren- und Informationsfluss suggerieren, erwartet nur denjenigen der Bonus eines erfüllten Lebens, der sich selbst erfolgreich auf dem Markt durchsetzt. Dass in dieser Sehnsuchtsmaschinerie ihre eigene Krisenhaftigkeit tief verwurzelt ist, wird nicht nur durch die bestehende ökonomische Finanzkrise sichtbar, sondern ebenso durch neu erwachsende Sozialpathologien, in denen die Bedürfnisse einzelner Subjekte mit den Anforderungen des Marktes nicht länger kompatibel sind und sich ein Zwiespalt eröffnet zwischen kalkulierten Sehnsüchten und dem individuellen Unvermögen, systematisch ein erfülltes Leben zu leben.
Katrin Bertrams Installation Ich verzichte auf meinen Bonus führt uns hinein in ein Dickicht aus Pathologien solcher Sehnsuchtsprojektionen. Wir betreten einen Grundriss, vielleicht eine Zeitachse oder auch Alices Welt hinter den Spiegeln, und folgen dem Weg durch sieben Tableaus, die den Blick auf die individuellen Schwebebalken fiktiver Existenzen eröffnen. Die Schieflage der Wand, die den Eingang in diesen Parcours freigibt, schafft atmosphärische Hinweise auf eine verschobene und im weiteren Verlauf von der Abwesenheit eines Subjekts geprägten Szenerie: zu sehen ist ein Handlauf aus Anzugteilen und weitere Kleidung in Form von präzisen Keramik-Objekten, sowie Repliken von Pharmazeutika, Resten eines ursprünglich Entspannung versprechenden Wellness-Raumes, sowie Schuhe, in deren Sohlen eben jener rote Teppich ausgerollt ist, welcher dem Träger ein Wandeln in Ruhm und Anerkennung verheißt.
Ambivalenz spricht aus diesen Left-Overs: eine weiße, gedämpfte Atmosphäre scheint jeden starken Affekt zu tilgen, Sterilität und der Wunsch nach Sicherheit sprechen aus den Arrangements und verweisen gleichzeitig durch die überzeichnete Fetischisierung und Artifizialität der Alltags-Repliken auf die immanent lebensfernen Abgründe dieses Glücks-Entwurfs.
Als ein leicht ironischer Verweis auf Katrin Bertrams eigene Biografie könnte der Titel Ich verzichte auf meinen Bonus gelesen werden: Vor ihrem Studium an der Akademie der Bildenden Künste war Katrin Bertram als Prozessmanagerin in Konzernen tätig und bewegt sich nun, als Künstlerin, zwischen diesen Welten. Sie bezieht aus ihren Erfahrungen als Managerin den Stoff, der in der anderen Welt transformiert, materialisiert werden kann und als sinnlich erfahrbare Konzepte ein Eigenleben entwickeln. Speziell Fragen zur individuellen Erwartungshaltung sind Gegenstand der Untersuchung und werden in ihrer Arbeit durch minimale Eingriffe oder Kontext-Verschiebungen sichtbar.
In Ich verzichte auf meinen Bonus fällt jedoch der persönliche, dokumentarische Aspekt weitgehend aus; viel eher entwickelt sich aus präziser Alltags-Beobachtung eine poetische Metaphorik: denn nicht als Narrativ sondern eher atmosphärisch arbeiten die subtilen Verschiebungen an einem spezifischen Unbehagen im Betrachter und entlassen ihn, im letzten Bild, mit dem Ausblick auf ein geöffnetes Fenster, dessen Flügel in Schieflage geraten sind, in ein desolates Moment von Irritation und einem letztlich ungewissen Ausgang.
Text von Sarah Lehnerer